Salta (Filmkritik)

„Salta“ ist eine kurze tragisch-schöne Geschichte über die Beziehung zwischen zwei Mädchen: Julia und Amanda, beide im Schwimmverein. Hoch oben auf dem Sprungturm des Schwimmbeckens kommen sie sich näher. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes…

Der Film braucht nicht viele Worte, um seine Geschichte zu erzählen. Er wirkt in Bildern – das ruhige Wasser, die hellen Beleuchtungen, der leere Startblock. Der hohe Sprungturm ist das prägende Symbol des Filmes und eine Metapher für Julias Inneres. Soll sie liegenbleiben oder herunterspringen? Weiterleben wie bisher oder etwas Neues wagen?

Der Film ist für seine Kürze erstaunlich vielschichtig: Er schwankt zwischen Stille und Lautstärke, Statik und Aktion, Düsternis und Romantik, Nähe und Distanz. Die Geschichte über das Verhältnis der beiden Mädchen wirkt lebensnah und bringt den Zuschauer zum Grübeln, was auch durch den Einsatz von Rückblenden verstärkt wird.

Die junge Regisseurin Marianne Amelinckx, die u.a. bei „La familia“ (bereits vorgestellt und rezensiert vom Kinosalon) als Regieassistentin gearbeitet hat, belebt mit „Salta“ den venezolanischen Kurzfilm. Es ist ihr nur zu wünschen, dass sie mit weiteren überzeugenden Filmen ihren Weg gehen wird.

El autor (Filmkritik)

Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, Schriftsteller zu werden? Inspirationen von seiner Außenwelt zu sammeln, um daraus eine spannende Geschichte zu kreieren? Dennoch üben nur wenige den Autorenberuf aus. Er erfordert neben Kreativität, Strukturiertheit und Schreibtalent auch viel Hingabe. Man muss bereit sein, ständig dazuzulernen, und seinen Text auch mal völlig umkrempeln. Damit wären wir bei der Geschichte von Álvaro (Javier Gutiérrez) aus Sevilla in „El autor“.

Sein Job in einem Notariat langweilt ihn, stattdessen möchte er ein richtig guter Schriftsteller werden – auch aus Eifersucht: Seine Frau Amanda (María León) hat gerade einen großen Bestseller-Erfolg gelandet und er möchte nicht länger in ihrem Schatten stehen.

Er besucht einen Schreibkurs. An Fleiß und Hingabe mangelt es nicht. Allerdings kanzelt ihn sein passionierter Dozent Juan (Antonio de la Torre) vor dem ganzen Kurs ab, da seine Geschichten zu trivial sind. Juans Ratschlag: Er solle endlich den Menschen zuhören und zusehen, da das unabdingbar für eine gute Geschichte sei.

Gesagt, getan: Álvaro trennt sich von Amanda und nimmt sich eine neue Wohnung. Schon bald lernt er seine neuen Nachbarn kennen: die einsame Hausmeisterin, ein mexikanisches Pärchen mit Integrationsproblemen und einen Militär im Ruhestand. Er stellt ihnen nach und versucht, sie näher kennenzulernen. Ihre Lebensgeschichten sind für ihn besserer Romanstoff als alles, was er bisher geschrieben hat.

Zusammenfassung

Der Held aus dieser Geschichte ist kein klassischer. Sympathie empfindet man für Álvaro nur bedingt. Am Anfang ist er ein Verlierer, der anscheinend kein Schreibtalent hat und voller Eifersucht auf seine Frau ist. Später bekommt er einen Schub, der auch sein Schreiben antreibt: Er gewinnt das Vertrauen seiner sonst eher verschlossenen Nachbarn und wird für sie zu einem wichtigen Ansprechpartner und Helfer. Seine scheinbare Empathie dient aber nur dazu, sie als Protagonisten für seine Geschichte zu inszenieren. Ein Spiel mit dem Feuer…

„El autor“ ist kein Wohlfühlfilm. Die ganze Zeit hängt über ihm eine merkwürdige Stimmung. Álvaro schwankt genauso zwischen befremdlich und bemitleidenswert wie die anderen Charaktere mit ihren trüben Schicksalen. Am Anfang schleppt der Film sich noch etwas. Als Álvaro den Rüffel von seinem Dozenten Juan bekommt, ist das aber nicht nur ein Hallo-Wach-Effekt für ihn, sondern für den ganzen Film.

Mujeres al borde de un ataque de nervios (Filmkritik)

Wenn man ganz oberflächlich die Handlung von „Mujeres al borde de un ataque de nervios“ betrachtet, könnte der Film ein Liebesdrama aus den 50er oder 60er Jahren sein. Ein charismatischer Synchronsprecher verlässt seine Kollegin und Geliebte für eine andere, diese will ihn zurück haben und tut alles dafür. Punkt.

Aber dann wäre dies kein Almodóvar-Film. Sein Film ist auf ganz eigene Art und Weise absurd und unverwechselbar.

Der Film lebt von seinem perfekt besetzten Darstellerensemble: Carmen Maura hängt als Pepa zwischen Liebe und Hass zu ihrem Iván und handelt dabei jenseits jeglicher Vernunft: Sie verbrennt das ehemalige gemeinsame Liebesbett und genießt das Feuer solange, bis die Rauchentwicklung sie in akute Gefahr bringt. Sie wirft ihren Anrufbeantworter, der von ihrem Ex in gepflegten Worten besprochen wird, in blinder Wut aus dem Fenster. Doch in anderen Situationen handelt sie wiederum völlig kühl und souverän.

Gerade auch die Nebendarsteller drücken dem Film ihren Stempel auf, egal ob sie nun eine Minute lang oder über die Hälfte des Films auftauchen. Nur die wichtigsten seien hervorgehoben:

  • Fernando Guillén als Iván: Eigentlich ein richtiger Gentleman, der selbst eine schmerzhafte Trennung durch die Magie seiner Synchronsprecherstimme noch butterweich rüberbringen kann. Ist in den wenigen Momenten, in denen er auftaucht, sehr präsent, aber auch wenn er fehlt; denn er ist das Phantom, dem alle hinterherjagen.
  • María Barranco als Candela: Die „beste“ Freundin von Pepa: naiv und mitteilungsbedürftig. Genau so eine braucht Pepa in ihrer Krisensituation…
  • Antonio Banderas als Carlos: Nicht wiederzuerkennen – blutjung, mit Nerdbrille, krausem Haar und einem Stotterproblem. Unsicher und zwanghaft liebesbedürftig, aber er kann Telefone reparieren.
  • Rossy de Palma als Marisa, Carlos‘ Verlobte: Sie spricht nicht viel, aber schon ihr ungewöhnliches Erscheinungsbild ist eine Kunstform. Ihr Gesicht ist so hager wie ihr Körper, ihre Nase lang und schief, ihr Blick immer zwischen dumm, arrogant und verstohlen. Man weiß nicht so richtig, was man von ihr halten soll.1)
  • Julieta Serrano als Lucía, Ex-Ex-Geliebte von Iván: Sie setzt dem Film am Ende noch einmal die Krone auf. Im Erscheinungsbild zwischen Transvestit und Tante Erna angesiedelt, zeigt sie sich als Antagonistin in Perfektion: schrill, entschlossen und psychopathisch.

Dazu kommt Almodóvars spezielle Darstellungs- und Erzählform. Schon zu Beginn lässt er Iván durch ein Meer an verzückten Frauen wandern und jede mit einem Kompliment beschenken. Er lässt dem Gazpacho, einer Suppe aus rohem Gemüse, immer wieder aufs Neue eine handlungsentscheidende Bedeutung zukommen. Und am Schluss werden wir mit einer ganz besonderen Detailansicht der rachlüstigen Lucía auf einem Motorrad beschenkt.

Vor 30 Jahren hat Pedro Almodóvar mit „Mujeres al borde de un ataque de nervios“ ein keckes Werk geschaffen, das mit seinem Mix aus Charme und Übergeschnapptheit auch heute noch sein Publikum finden wird.

Fußnote:

1) Rossy de Palma tritt auch als Model auf und wurde dieses Jahr in die Academy of Motion Picture Arts and Sciences berufen, die die Oscars vergibt.

El día de la bestia (Filmkritik)

„El día de la bestia, auf Deutsch “Der Tag der Bestie“. Bei seinem Erscheinen im Jahr 1995 mit einer FSK-Freigabe ab 18 Jahren versehen, ist das der erste nicht jugendfreie Film, den wir euch präsentieren. Und ein bisschen was hat das Werk des spanischen Kult-Regisseurs Álex de la Iglesia auch von „Der Exorzist“, dem Film, der früher mal als schlimmster Film aller Zeiten bezeichnet wurde. Aber ein Hinweis zur Beruhigung: Wenn man die Gewalt aus heutigen Filmen gewohnt ist, wird dieser Film von 1995 euch mit seinem Kunstblut nicht sonderlich erschrecken können. Die FSK-Freigabe wurde auch mittlerweile zeitgemäß auf 16 Jahre angepasst.

Es geht darin um einen selbsternannten Teufelsaustreiber, den baskischen Priester Ángel (ironischerweise bedeutet sein Vorname „Engel“), gespielt von Álex Angulo. Laut seinen Nachforschungen steht der genaue Zeitpunkt für die Wiederkehr des Antichristen, der 25.12.1995, unmittelbar bevor. Auf seiner Spurensuche in Madrid trifft er in einem Plattenladen auf den leicht dämlichen Death-Metal-Fan José María (Santiago Segura) und sucht mit diesem gemeinsam den obskuren TV-Moderator Dr. Cavan (Armando de Razza) auf. Jetzt benötigt er gemäß der Bibel nur noch das Blut einer Jungfrau, um Satan in die Hölle zurückzuschicken. Wird der Plan gelingen?

Die Satire verspricht viel schwarzen Humor, wobei die Charaktere sich gegenseitig an Lächerlichkeit überbieten. Die Bibel bekommt ordentlich was auf die Ohren und man fühlt sich an Monty Pythons „Das Leben des Brian“ erinnert. Kommt mit auf die Achterbahn zwischen Humor und Horror.

La familia (Filmkritik)

Ein Leben in den Slums von Caracas ist ohnehin kein Zuckerschlecken. Doch was passiert, wenn gefühlt das ganze Viertel hinter dir her ist?

In einer solchen Situation befindet sich der zwölfjährige Pedro (Reggie Reyes). Provoziert von einem anderen Jungen, verletzt er ihn lebensbedrohlich mit einer Glasscherbe. Zum Entsetzen seines alleinerziehenden Vaters Andrés (Giovanny García): Aus Angst vor der Rache der Angehörigen verlässt er fluchtartig mit Pedro die Armensiedlung. Pedro hingegen sieht seine Schuld nicht ein und behauptet, er würde mit den Leuten schon fertigwerden.

Für beide zählt – das muss mit der Zeit auch Pedro einsehen – fortan nur noch das nackte Überleben: Unentdeckt zu bleiben ist dabei ein Faktor. Der andere ist das Geld: Um sofort das Viertel zu verlassen, muss zunächst der Taxifahrer mit 3.500 Venezolanischen Bolívar bestochen werden. Umgerechnet sind das für uns lächerliche 5 Cent, für Andrés ist es eine bittere, aber notwendige Investition im Kampf ums Überleben.

Um der notorischen Geldnot zu entfliehen, greift Andrés auf altbekannte Arbeitskontakte zurück. Pedro wird in die Arbeit mit eingegliedert – für ihn eine bisher unbekannte Situation.

Während der Vater voller Verzweiflung ist, versucht der Sohn, voller jugendlichem Leichtsinn seine Tat zu entdramatisieren. Doch beide sind voneinander abhängig. Ein ohnehin schon angespanntes Verhältnis wird in einer Extremsituation auf die Probe gestellt. Wird die Situation das letzte Band zwischen beiden zerreißen oder können sie sich zusammenraufen?

Die Emotionen der beiden Hauptdarsteller, eigentlich nur noch zwischen negativen Polen schwankend, beherrschen den Film: Scham, Schuldgefühle, Angst, Verzweiflung, Wut und Trauer wechseln sich ab. In den erstarrten Gesichtern der Protagonisten spiegeln sich zwei Menschen wider, die den Glauben an das Gute im Menschen verloren haben.

Besonders eindringlich spürbar ist das Elend in der Armensiedlung von Caracas: Tausende von Menschen leben dort in kolossalen, tristen Gebäuden aufeinander wie in einem Bienenstock. So paradiesisch ihr Ausblick auf die Stadt ist, so erbärmlich sind ihre Verhältnisse. Die Jugendlichen sind ständig auf Provokation aus, die Erwachsenen siechen dahin. Die Kommunikation ist nicht konstruktiv sondern aggressiv, auf Gewalt folgt Gegengewalt.

Der Filmtitel „La familia“ führt, wohl bewusst, in die Irre. Hier geht es nicht um ein harmonisches Gebilde, bestehend aus zwei Eltern und einem oder mehreren Kindern. Es geht um zwei Menschen, die die Urfunktion der Familie erfüllen müssen: das Überleben.

Biutiful (Filmkritik)

Ja, der Titel „Biutiful“ ist schlechtes Englisch. Aber nicht vom Regisseur. Der eigentliche Urheber ist der Hauptcharakter des Films, Uxbal. So diktiert er das Wort seiner Tochter Ana, „wie man es spricht“. So schlimm sein Englisch ist, so schlimm ist auch sein Schicksal in dem Film. Was im Leben alles schief gehen kann, geht schief.

Faktor 1 – Die Arbeit: Uxbal, ansässig in Barcelona, hat angeblich magische Fähigkeiten als Seher, der mit den Toten spricht. Allerdings muss er sich etwas dazuverdienen mit schmutzigen Geschäften. Er organisiert eine Bande von afrikanischen Straßenverkäufern, die von chinesischen Schwarzarbeitern hergestellte Plagiate verkauft. Doch einiges läuft schief.

Faktor 2 – Das Privatleben: Uxbal ist als Vollwaise aufgewachsen. Von seiner Frau Marambra ist er getrennt, sie ist manisch-depressiv, alkoholsüchtig und hat Sex mit seinem Bruder. Seine Kinder muss er allein erziehen. Marambra stellt aber Ansprüche auf die Kinder, die sie nicht erfüllen kann. Und dann muss Uxbal sich noch mit Faktor 3 auseinandersetzen.

Faktor 3 – Die Angst vor dem Tod: Uxbal bekommt die Diagnose, dass er Krebs hat. Ihm bleiben noch maximal ein paar Monate zum Leben. Er fürchtet sich vor dem Nichts, fragt sich, was mit seinen Kindern nach seinem Tod passieren wird. Affektiv, finanziell. Und er muss seinen Kindern beibringen, dass sie bald auch Waisen sein werden…

„Biutiful“ zeigt den sonst so schillernden Touristenort Barcelona von seiner anderen Seite. Düstere Bilder begleiten den Film nicht nur bei den Innenaufnahmen in den kargen Wohnungen, sondern auch bei den Außenansichten auf die eigentlich so prunkvolle Stadt.

Man sieht Menschen, die von Existenzängsten bedroht sind: Arbeiter aus dem Ausland, die in ärmlichen und menschenverachtenden Verhältnissen leben und arbeiten. Uxbals Ex-Frau, die mit ihren Beinen nicht mehr auf dem Boden steht. Und Uxbal selbst, der, vor dem Sensenmann stehend, nicht weiß, wie er die Zukunft seiner Kinder sichern soll. Für alle geht es ums nackte Überleben.

Der Film ist schwerer Stoff. Wer ihn die fast zweieinhalb Stunden gesehen hat, mag etwas deprimiert sein. Unterhaltend ist er nicht. Die Stelle mit der falschen Orthografie ist wohl die einzige, an der der Zuschauer ein leichtes Schmunzeln bekommt. Doch er hinterlässt nachhaltig das Gefühl, dass es sich lohnt, bis zuletzt zu kämpfen.

La isla mínima (Filmkritik)

Manchmal sind die Guten auch ein bisschen böse. Besonders im Krimi findet dieses Prinzip häufig Anwendung, wenn Ermittler – oft labil und alkoholsüchtig – an ihrem Fall zu zerbrechen drohen. Das ist auch in „Mörderland – La isla mínima“ der Fall. Zwei jugendliche Schwestern werden tot aufgefunden, die Detektive Pedro Suárez (Raúl Arévalo) und Juan Robles (Javier Gutiérrez) werden aus Madrid ins Sumpfland Andalusiens geschickt, um den Fall aufzuklären. Doch das ist nicht so einfach. Die befragten Personen erweisen sich nicht gerade als Plaudertaschen – im Sommer 1980, kurz nach der Franco-Diktatur, ist man nach wie vor skeptisch gegenüber Beamten.

Während Pedro die Grausamkeit des Mörders verunsichert, wirkt der dem Alkohol nicht abgeneigte Juan merkwürdig abgebrüht. Bekommt er nicht die Aussage, die er sich wünscht, haut er schon einmal kräftig drauf – verbal und körperlich. Der vermeintliche Held erweist sich als ähnlich psychopathisch wie der Mörder.

Wie auch immer: Pedro und Juan – beide mit Schnauzbarten aus den schönsten 80er-Klischees – müssen sich trotz ihrer Unterschiedlichkeiten zusammenraufen und kleine Hinweise zu einem ganzen Bild zusammenfügen. Dabei könnte ihnen der Journalist (Manolo Solo), der am Tatort erscheint, eine Hilfe sein.

Die Geschichte dieses Krimis wird untermalt von einer kalten, düsteren Stimmung: regnerisches Wetter, düstere Räume, nervöse Charaktere. Der Film ist konzentriert auf seine Handlung, wilde Actionszenen und große Spannungsmomente bleiben weitgehend außen vor. Dafür gibt es schöne Aufnahmen des „Mörderlandes“ aus der Vogelperspektive.

So braucht der Film seine Zeit, um aufzutauen. Das vielschichtige Ermittlerduo sticht heraus, einige Nebenfiguren tauchen auf, die meisten davon bleiben aber unwesentlich. Am Ende wird es aber nochmal emotional – zumindest so, wie die Hauptfiguren es zulassen.

El laberinto del fauno (Filmkritik)

Wer als Kind schon gerne Märchen gehört hat, könnte sich für „El laberinto del fauno“ begeistern. Viele märchenhafte Wesen kommen darin vor: die Prinzessin, die ihre Unsterblichkeit zurückerobern muss, kleine insektenartige Elfen, ein der Völlerei huldigender Frosch, ein augenloses kinderfressendes Monster und der Pan (in der griechischen Mythologie der Gott des Waldes und der Natur).

Diese Fantasiewelt verbindet Guillermo del Toro in seinem Film mit einer Realwelt, wie sie grausamer nicht sein könnte. Der spanische Bürgerkrieg ist vorbei, die Faschisten haben die Macht übernommen. Ofelia (Ivana Baquero) zieht mit ihrer hochschwangeren Mutter (Ariadna Gil) in eine ländliche Gegend Nordspaniens. Dort führt Ofelias Stiefvater Vidal (Sergi López), ein hochrangiger Offizier der Faschisten, ein grausames Regime.

Geleitet von einer Elfe entflieht Ofelia der Wirklichkeit: Sie steigt hinab in ein unterirdisches Labyrinth, wo sie dem Pan (Doug Jones) begegnet. Dieser offenbart ihr, dass sie einmal eine Prinzessin war. Wenn sie drei Aufgaben erfüllt, kann sie wieder zur Prinzessin und damit unsterblich werden. Unterdessen spitzt sich der Krieg von Vidals Truppe gegen die widerständlerischen Partisanen zu.

Der Aufbau des Films entspricht einer typischen Heldenreise: Die junge Protagonistin muss ihre Ängste überwinden und schwierige Aufgaben erfüllen, um wieder das zu werden, was sie einmal war. Wie eine Märchenfigur muss sie konsequent alle Widerstände überwinden.

Hier jedoch wird im Gegensatz zu üblichen Märchenbüchern die Gewalt drastisch dargestellt: Gerade Ofelias skrupelloser Stiefvater Vidal foltert oder tötet skrupellos jeden, der sich ihm in den Weg stellt. Und auch in Ofelias Parallelwelt warten schaurige Gefahren. Die Lage eskaliert. Das Ende lässt dann zwei Interpretationen zu.

Ganz leichte Kost ist der zwischen Krieg, Gewalt und träumerischer Fantasie wechselnde Film nicht. Die eindringlichen Schauspielerleistungen, insbesondere die von Sergi López als erbarmungsloser Offizier eines auf Authorität beruhenden Systems, tragen ihr Übriges bei. Wer gerne mal der Realität entflieht, findet sich sicher in Ofelia wieder. Mit ihrem couragierten Handeln vermittelt sie die Grundbotschaft des Films: Die Fantasie kann Berge versetzen, wenn man wirklich daran glaubt.

Relatos salvajes (Filmkritik)

Der Titel „Relatos salvajes“ („Wilde Geschichten“) ist für diesen Film in jeder der sechs Episoden selbsterklärend. Vermeintliche Normalos werden hier völlig aus der Bahn gebracht. Auslöser dafür sind die ärgerlichen bis deprimierenden Geschehnisse, die das Leben so bereithält: übertriebene Parkgebühren, ein tragischer Autounfall oder ein Seitensprung des Ehepartners.

Episode 1 – „Pasternak“: Ein depressiver Mann beschließt, alle Menschen, die ihn zuvor schikaniert haben, auf einmal umzubringen.

Episode 2 – „Las Ratas“: Eine Köchin möchte Gerechtigkeit schaffen, indem sie einem Mann, der ihre Kellnerin ins Unglück gestürzt hat, Gift ins Essen mischt.

Episode 3 – „El más fuerte“: Zwei Autofahrer geraten in ein Gefecht, das auf der Straße beginnt und sich an einer Brücke zu einem Kampf um Leben und Tod entwickelt.

Episode 4 – „Bombita“: Ein Familienvater wird konfrontiert mit der Unmenschlichkeit der Bürokratie, die ihn in einer Kettenreaktion sowohl seine glückliche Familiensituation als auch seinen scheinbar sicheren Arbeitsplatz kostet – und rächt sich.

Episode 5 – „La Propuesta“: Ein reicher Geschäftsmann muss erfahren, dass sein Sohn eine schwangere Frau überfahren hat. Um die Zukunft des Sohnes zu sichern, soll ein Hausangestellter behaupten, dass er die Tat begangen hat. So eine Lüge aufrechtzuerhalten kostet aber viel Geld.

Episode 6 – „Hasta que la muerte nos separe“: Eigentlich sollte es der schönste Tag ihres Lebens werden, doch auf der Hochzeitsfeier erfährt die Braut, dass ihr Bräutigam sie betrogen hat, und zelebriert auf der Feier ihre Rache.

„Relatos salvajes“ zelebriert das Wildwerden seiner Protagonisten: Gerade waren sie noch Durchschnittsmenschen, plötzlich aber werden sie durch Frustration, Ungerechtigkeitsgefühl und Rachgier zu Triebtätern. Der Grat zwischen Normalo und Psychopath ist hier schmal. Die Protagonisten sind nur scheinbar sorglos und zufrieden, in Wirklichkeit aber brodelt in ihnen ein Vulkan, der von einem Moment auf den anderen ausbrechen kann.

Der Film erhebt keinen Zeigefinger und ergreift nicht Partei. Die wild gewordenen Hauptprotagonisten werden nicht als kranke Bestien dargestellt, sondern als Menschen, die im Kontext demütigender Situationen ihre animalische Seite zeigen.

Der bis an die Grenze getriebene schwarze Humor des Films gefällt sicher nicht jedem. Wer humorerprobt ist, kann mit diesen technisch professionell gedrehten und leidenschaftlich gespielten Erzählungen des modernen argentinischen Kinos aber einen unterhaltsamen Filmabend verbringen.

Celda 211 (Filmkritik)

„Celda 211“ ist ein moderner Film des spanischen Kinos. Kamera und Montage erinnern an Hollywood-Blockbuster, und auch der Handlungsablauf könnte aus einem aktuellen amerikanischen Action-Film stammen. Eine einfache Zusammenfassung der Handlung wäre: Häftlinge in einem Gefängnis randalieren, und das Gefängnispersonal muss versuchen, die Wogen zu glätten oder im Notfall gewaltsam einzugreifen.

Das wäre eine platte, leicht konsumierbare Handlung, wäre da nicht Juan Oliver mit im Spiel: ein Mann, dessen Frau hochschwanger ist (ganz à la Hollywood). Allerdings ist er zur falschen Zeit am falschen Ort. Eigentlich wollte er morgen erst seinen Dienst als Gefängniswärter antreten, aber er entscheidet sich zu einem Rundgang durch die Gefängnisanlage. Nach einem Unfall findet er sich wieder in einem Aufstand von gröhlenden Häftlingen, die randalierend die Macht über den Zellenbereich an sich reißen und drei Geiseln nehmen, um deutlich verbesserte Haftbedingungen zu erpressen.

Fortan weiß Juan: Er muss sich um jeden Preis bei den Häftlingen als einer der ihren darstellen. Dafür muss er dem furchteinflößenden Anführer der Häftlinge, Malamadre („schlechte Mutter“) genannt, glaubhaft machen, dass er ein verurteilter Mörder ist, und sich von ihm bloßstellen lassen. Schnell gewinnt er dessen Vertrauen und den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Gürkchen“ (im spanischen Original „Calzones“ = Boxershorts).

Ein Balanceakt beginnt: Einerseits darf er unter den Gangstern nicht als Auswärtiger auffallen, andererseits muss er versuchen, seinen Wärterkollegen wichtige Tipps mitzugeben. Einige Häftlinge trauen ihm nicht, während Malamadre immer mehr Sympathie für ihn gewinnt – erst recht, als er die Geschichte von Juans schwangerer Frau erfährt. Diese erfährt in den Medien von der Revolte. Besorgt fährt sie zum Gefängnis, wo die Lage bereits am Eskalieren ist…

GRENZÜBERSCHREITUNG UND KONTROLLVERLUST

In dem Film verwischen die Grenzen zwischen Gut und Böse: Juan, ein liebender Mann und baldiger Familienvater, überschreitet in seiner Notlage Grenzen. Malamadre, der anfänglich wie die Personifikation des Bösen wirkt, zeigt weiche, verletzliche Seiten. Das Gefängnispersonal hingegen, das routiniert mit Situationen wie dieser umgehen sollte, offenbart einen völligen Kontrollverlust.

Sicherlich ist die Darstellung der Häftlinge als primitiver, pöbelnder, dem Gruppenzwang völlig unterworfener Haufen etwas übertrieben. Aber der Film gewinnt an Tiefe durch das eigenwillige Verhältnis zwischen Juan und Malamadre, die – so verschieden sie auch sind – doch einige Ideale teilen. Erstaunlich ist auch: Die Häftlinge verlangen nicht ihre Freilassung. Stattdessen fordern sie bessere Haftbedingungen, was nur menschlich ist.

Daniel Monzón hat einen Gefängnisfilm gedreht, der einen mit seiner spannenden Handlung mitzieht. Die Atmosphäre des Films ist stets am Brodeln, unterbrochen nur durch ein paar romantische Rückblenden zum Liebesleben zwischen Juan und seiner Frau Elena. Der Zuschauer fiebert mit, ob Juan entdeckt wird oder ob er es schaffen kann, seiner Situation zu entfliehen.

Manche Aktionen von Juan, die er im Affekt begeht, werfen die Frage auf, ob diese weiterhin nur Teil seiner Rolle als Gangster sind oder ob er sich nicht immer mehr mit seinen Knastbrüdern identifiziert. Währenddessen werden Gefängnisbeamte und Polizisten zu kaltblütigen Tätern. Wer in dem Gemisch aus Gewalt und Gegengewalt der Vernünftigere ist, wird verwischt. Wer starke Nerven hat, kann mit „Celda 211“ einen pulstreibenden Filmabend verbringen.