Wenn man ganz oberflächlich die Handlung von „Mujeres al borde de un ataque de nervios“ betrachtet, könnte der Film ein Liebesdrama aus den 50er oder 60er Jahren sein. Ein charismatischer Synchronsprecher verlässt seine Kollegin und Geliebte für eine andere, diese will ihn zurück haben und tut alles dafür. Punkt.
Aber dann wäre dies kein Almodóvar-Film. Sein Film ist auf ganz eigene Art und Weise absurd und unverwechselbar.
Der Film lebt von seinem perfekt besetzten Darstellerensemble: Carmen Maura hängt als Pepa zwischen Liebe und Hass zu ihrem Iván und handelt dabei jenseits jeglicher Vernunft: Sie verbrennt das ehemalige gemeinsame Liebesbett und genießt das Feuer solange, bis die Rauchentwicklung sie in akute Gefahr bringt. Sie wirft ihren Anrufbeantworter, der von ihrem Ex in gepflegten Worten besprochen wird, in blinder Wut aus dem Fenster. Doch in anderen Situationen handelt sie wiederum völlig kühl und souverän.
Gerade auch die Nebendarsteller drücken dem Film ihren Stempel auf, egal ob sie nun eine Minute lang oder über die Hälfte des Films auftauchen. Nur die wichtigsten seien hervorgehoben:
- Fernando Guillén als Iván: Eigentlich ein richtiger Gentleman, der selbst eine schmerzhafte Trennung durch die Magie seiner Synchronsprecherstimme noch butterweich rüberbringen kann. Ist in den wenigen Momenten, in denen er auftaucht, sehr präsent, aber auch wenn er fehlt; denn er ist das Phantom, dem alle hinterherjagen.
- María Barranco als Candela: Die „beste“ Freundin von Pepa: naiv und mitteilungsbedürftig. Genau so eine braucht Pepa in ihrer Krisensituation…
- Antonio Banderas als Carlos: Nicht wiederzuerkennen – blutjung, mit Nerdbrille, krausem Haar und einem Stotterproblem. Unsicher und zwanghaft liebesbedürftig, aber er kann Telefone reparieren.
- Rossy de Palma als Marisa, Carlos‘ Verlobte: Sie spricht nicht viel, aber schon ihr ungewöhnliches Erscheinungsbild ist eine Kunstform. Ihr Gesicht ist so hager wie ihr Körper, ihre Nase lang und schief, ihr Blick immer zwischen dumm, arrogant und verstohlen. Man weiß nicht so richtig, was man von ihr halten soll.1)
- Julieta Serrano als Lucía, Ex-Ex-Geliebte von Iván: Sie setzt dem Film am Ende noch einmal die Krone auf. Im Erscheinungsbild zwischen Transvestit und Tante Erna angesiedelt, zeigt sie sich als Antagonistin in Perfektion: schrill, entschlossen und psychopathisch.
Dazu kommt Almodóvars spezielle Darstellungs- und Erzählform. Schon zu Beginn lässt er Iván durch ein Meer an verzückten Frauen wandern und jede mit einem Kompliment beschenken. Er lässt dem Gazpacho, einer Suppe aus rohem Gemüse, immer wieder aufs Neue eine handlungsentscheidende Bedeutung zukommen. Und am Schluss werden wir mit einer ganz besonderen Detailansicht der rachlüstigen Lucía auf einem Motorrad beschenkt.
Vor 30 Jahren hat Pedro Almodóvar mit „Mujeres al borde de un ataque de nervios“ ein keckes Werk geschaffen, das mit seinem Mix aus Charme und Übergeschnapptheit auch heute noch sein Publikum finden wird.
Fußnote:
1) Rossy de Palma tritt auch als Model auf und wurde dieses Jahr in die Academy of Motion Picture Arts and Sciences berufen, die die Oscars vergibt.